Anzugsdrehmomente ST 1100

  • Der Vorteil eines sehr geringen Anfangsdrehmoment (Im Beispiel der M10 Schrauben z.B. mit 10Nm - nur um die Bauteile zum flächigen Kontakt zu bringen) und einem Drehwinkel ist die schmierungsunabhängige Spannkraft auf die Bauteile und hat in der Realität eher mit dem Unvermögen der privaten oder prof. Mechaniker zu tun, die nicht in der Lage sind mit einem Drehmomentschlüssel umzugehen oder in Ländern/Werkstätten arbeiten die keinen Drehmomentschlüssel haben.


    Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann vor allem das Recht, anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.

  • Wenn die 58Nm ausreichen sind ist das doch völlig ok. Für meine Gewohnheit empfinde ist es halt als relativ wenig, für einen Zylinderkopf.


    Es gibt auch Fahrzeuge, da fängst du (undefiniertes Beispiel) mit 30 Nm an. Dann alle Schrauben mit 60Nm, dann 90Nm und dann nochmal zusätzlich 90°-2x90° Drehwinkel oben drauf. Das hat nicht unbedingt mit dem Unvermögen oder anderen Umständen in anderen Regionen zu tun. Das sind schlichtweg die Herstellerangaben, gerade bei Verwendung von Dehnschrauben.


    Im Tuningbereich kommen dann anstelle von Drehwinkel oder Drehmoment auch schon mal die Angaben in x/100el Millimeter Dehnung bei Pleulschrauben.


    Das zählt dann eben zu dem, was man sich anlesen muss. Für sowas kauft man sich ja die Lektüre der Hersteller.

  • ...und an meinem Alteisen gibt es sowas wie Drehmomentangaben nicht. Da wird der Kopf per Maulschlüssel mit Muttern zwischen den Kühlrippen einfach nur festgezogen.

    Gibt es an deinem Alteisen denn so etwas wie Stehbolzen, also lang und dehnbar?


    Die Berechnung von Anzugsdrehmomenten ist ziemlich komplex und von vielen Unsicherheiten begleitet, die dann mit Anzugsfaktoren (Multiplikationsfaktoren zum theoretischen Wert) kompensiert werden. Dabei interessiert das Drehmoment den Konstrukteur nur am Rande. Was er stattdessen will, ist eine bestimmte Schrauben!kraft!, die ausreichend ist, die so gefügten Bauteile zuverlässig zusammen zu halten (etwa gegen den Verbrennungsdruck). Es gibt einen direkten, proportionalen Zusammenhang zwischen der Zugkraft, die in einer Schraube wirkt und ihrer Längung - und in wirklich delikaten Fällen misst man diese Längendehnung und bringt sie auf den Sollwert, gleichgültig, welches Drehmoment dafür erforderlich ist. Dann - und nur dann - hat man ein sicheres Ergebnis in enger Toleranz. Das gibt's durchaus auch im Motorenbau. Carillo Titanpleuel werden etwa so montiert. Die Methode funktioniert freilich nur, wenn die Schraube nach dem Anziehen von beiden Seiten zugänglich ist. Ist das nicht der Fall, wird die Schraube/der Stehbolzen/Zuganker hydraulisch vorgespannt, die Mutter von Hand angelegt und die Vorspannung wieder gelöst. Dann ist die Verschraubung erstens fest und zweitens auch noch frei von jeglicher Torsionsspannung. Das ist ein im Druckbehälterbau/Kraftwerksbau übliches Verfahren.


    Eine Schraube kann man also als eine Zugfeder betrachten, freilich eine mit sehr hoher Federrate. Hohe Federrate heißt, dass große Kräfte nur kleine Längenänderungen bewirken. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass kleine Längenänderungen, etwa durch Setzen, große Änderungen der Schraubenkraft zur Folge haben. Das ist der Hintergrund für die oft mystisch anmutenden Rituale beim Anziehen der Zylinderköpfe. Wieviele Setzfugen sind vorhanden? Wie dick ist die Kopfdichtung? Besteht sie aus nur aus einem Weichaluminiumblech oder ist es eine komplexe Vielstoffdichtung? Ist eine Fußdichtung vorhanden? Welche Oberflächenrauhigkeit haben die Flächen in der Setzfuge und in welcher Richtung verlaufen die Bearbeitungsriefen? (Bei Bremssätteln und Bremssattelaufnahmen gibt es häufig die Herstellervorgabe, dass die Riefen konzentrisch zur Bohrung verlaufen müssen. Dort hat man ja meist kurze Schrauben, also wenig Dehnlänge, weswegen kleine Setzungen große Verluste der Schraubenkraft zur Folge haben.)

    Auch noch interessant: Dreht sich im Kopf eine Nockenwelle, mehrfach gelagert und damit geometrisch überbestimmt? Deren Lagergasse muss nach dem Anziehen perfekt fluchten! (VW hatte da mal so einen Unfall, als sie aus dem 1,6l-Vierzylinder-Diesel einen 2,4l-Sechszylinder für den LT28 abgeleitet hatten. Da brachen plötzlich reihenweise die Nockenwellen.)


    So viel zu delikaten Schraubenverbindungen. Für diese findet sich immer ein Anzugsdrehmoment in den Werkstattbüchern. Für alles andere finden sich allgemeine Richtwerte in irgendwelchen Tabellen - die sich häufig widersprechen, weil jeder andere Grundannahmen trifft. Für den Maschinenbauer ist die brünierte, leicht geölte Schraube der Normalfall, im Kfz-Bereich die verzinkte oder gelb-bi-chromatierte trocken, am Fahrrad gibt's fast nur noch V2a-Schrauben ... und alle haben sie unterschiedliche Reibbeiwerte. Eine eventuelle Verwendung von Loctite ändert den dann nochmal - und ob die Schraube in eine Stahlmutter oder ein Gewinde im Alublock oder -gehäuse oder -rahmen eingedreht wird, ist selbstredend auch nicht ganz unwichtig. Von Sauberkeit und Korrosion haben wir dabei noch gar nicht geredet.


    Wovon wir auch noch nicht geredet haben, ist die Schraubengüte. Schrauben werden in Festigkeitsklassen eingeteilt, von 3.6 bis 14.9. Üblich ist der Bereich von 4.8 bis 12.9 und normal die Güte 8.8. Die erste Ziffer gibt die Prüfspannung geteilt durch 100 an (800N/mm²), die zweite die Streckgrenze (80% der Prüfspannung). Die Streckgrenze ist der Wert, bis zu dem die Schraube gedehnt werden kann, wenn sie nach Entlastung wieder ihre ursprüngliche Länge annehmen soll. (Ja, das soll sie immer!)

    Wenn solch eine Drehmoment-Tabelle ernst genommen werden möchte, sollte sie mindestens eine Angabe enthalten, auf welche Festigkeitsklasse sie sich bezieht. Tut sie das nicht, kommt aber vielleicht direkt vom Fahrzeughersteller in dessen Reparaturanleitung, kann man immerhin durch Vergleich mit einer seriösen Tabelle (z.b. aus einem Konstruktionshandbuch) herausfinden, welche Schraubengüte der Hersteller normalerweise verwendet (meist 8.8 oder 6.8).


    Festigkeitsklassen gibt es übrigens auch für Muttern, nämlich von 4 bis 14 (Prüfspannung von 400 bis 1.400 N/mm²). Das Potential einer 12.9er Schraube kann man also nur ausnutzen, wenn man sie mit einer Mutter der Güte 12 (oder besser) paart.


    Der langen Rede kurzer Sinn:

    1. Jed' Ding wird kompliziert, wenn man nur genau genug hinguckt.

    2. Man nehme Drehmoment-Tabellen freundlich zur Kenntnis, mache aber bloß keine Bibel daraus.

  • Gibt es an deinem Alteisen denn so etwas wie Stehbolzen, also lang und dehnbar?

    Natürlich nicht. Die BMW-Konstrukteure haben am Zylinderfuß 4 kurze M8 Stehbolzen mit Muttern und oben im Kopf 4 M8x1 Stehbolzen zum Zylinderflansch verkonstruiert. Zwischen den Rippen so eng, dass man mit zeitgemäßem und/oder modernem Werkzeug gerade so eine viertel Umdrehung hat zum Festziehen. Mit Dremomentschlüssel und Gabelaufsatz hat man noch weniger Chancen, da dran zu kommen. Ich würde auch davon ausgehen, dass der Zylinder beim Montieren vom Kopf verzogen wird, dass man dem Motorenbauer eine Hohnbrille mitgeben sollte, um den verbauten Zustand zu simulieren.


    Es gab einen Versuch das ganze auf lange Zuganker vom Fuß bis hoch zum Kopf zu verbauen. Das Problem daran ist aber, dass die Kipphebelwellenlager tangiert werden und man die Rippen vom Zylinder natürlich komplett durchbohren muss. Der Lochkreis vom Fuß passt auch nicht zum Kopf, die Bohrungen überlappen...



    War am Ende eine ganz wilde Konstruktion vom Besitzer mit Kolben vom Fremdfabrikat, Pleuel mit geteiltem Gleitlager aus einer Suzuki anstelle des originalen mit Nadellager und neue Ölversorgung für die Kipphebel. Mit dem Ziel mehr Leistung fahren zu können fuhr die Maschine nach der ganzen Arbeit anstelle von 100km/h knapp 120km/h. Mit einen länger übersetzten Endantrieb, bei einer undefiniertes Mehrleistung resultierend aus Erhöhung der Kompression, größerem Hubraum und umgeschliffener Nockenwelle.

  • Natürlich nicht. Die BMW-Konstrukteure haben am Zylinderfuß 4 kurze M8 Stehbolzen mit Muttern und oben im Kopf 4 M8x1 Stehbolzen zum Zylinderflansch verkonstruiert.

    Habe ich mir gedacht. Es gibt ein berühmtes Foto aus der Zeit, auf dem einer Renn-BMW beim Start gerade der komplette rechte Zylinder davonfliegt. 😮😳🙄


    Alte Konstrukteursregel:

    Lange Schraube = gute Schraube!


    Gestern, während ich mein langatmiges Elaborat ins Händi getabbert habe, fiel hier noch der Begriff "Dehnschrauben". Dazu noch eine kurze Anmerkung:


    Ja, es gibt Dehnschrauben, aber es gibt keine Nicht-dehn-Schrauben. Jede Schraube wird beim Anzug gedehnt, denn Schraubenkraft und Schraubendehnung gehen Hand in Hand. Es gibt das eine nicht ohne das andere.

    Eine gewöhnliche Schraube hat einen mehr oder weniger langen Schaft, an dessen Ende das Gewinde eingeschnitten ist. Ab dort hat sie also einen geringeren tragenden Querschnitt und am Gewindeauslauf findet ein Festigkeitssprung statt. Solche Festigkeitssprünge, "Kerben" im Vokabular der Technik, sind Gift für die Dauerfestigkeit eines Bauteils, seiner Fähigkeit, Lastwechsel zu ertragen. Es ist ein elementarer Unterschied, ob ein Bauteil statisch einmal und bis ans Ende aller Tage einer Last ausgesetzt wird, oder ob es diese Last periodisch ertragen muss. Das hat man lange Zeit nicht gewusst, und erst als zum x-ten Mal ein Eisenbahnrad gebrochen war, das nach damaligem Wissensstand nicht hätte brechen dürfen, hat sich ein gewisser Herr Wöhler von der Bahn mal dieser Sache angenommen und anschließend seine berühmten Wöhlerkurven veröffentlicht. Diese zeigen die Belastbarkeit in Abhängigkeit von der Zahl der Lastwechsel, nach der dann ein Ermüdungsbruch eintritt. Sobald das Teil eine gewisse Zahl von Lastwechseln (ich glaube 10^7, aber nagelt mich nicht drauf fest) erträgt, gilt es als dauerfest.


    Ein Zylinderstehbolzen ist einer schwellenden Last ausgesetzt. Wenn der Motor bei 6.000/min sein bestes Drehmoment (= beste Zylinderfüllung, maximaler Verbrennungsdruck) erreicht, dann rumpelt es 50 mal pro Sekunde da drin, und genau so häufig schwillt die Schraubenkraft auf ihren Maximalwert. Damit sie dies bestmöglich erträgt, muss sie einen möglichst homogenen Querschnitt ohne Festigkeitssprünge/Kerben aufweisen und unvermeidbare Querschnittsänderungen müssen weich, kontinuierlich und nur in Richtung größer gestaltet sein. Das ergibt dann die Dehnschraube, mit einem langen, glatten Schaft, dünner als der Kerndurchmesser des Gewindes und einem weich ansteigenden Durchmesser zum Gewinde hin.

  • …deshalb werden Gewinde bei hochfesten Schrauben auch gerollt und nicht geschnitten.😊

    Lieber Kurven ohne Ende, als eine Ende ohne Kurven😇

  • Das werden industriell gefertigte Schrauben eigentlich immer. Gewindeschneiden gibt es nur in der Einzelteilfertigung.