Nachdenkliches / Wie vorbereiten auf das Unvorhersehbare?

  • Liebe Foristen,


    unter Euch sind ja einige ausgesprochene Vielfahrer, in jedem Fall aber sehr erfahrene Biker, die schon alles Mögliche erlebt haben. Ich möchte Euch berichten von einem Erlebnis, welches mich zutiefst erschreckt hat, und das ich noch nicht verarbeitet habe.


    Vergangene Woche war ich für einige Tage im Riesengebirge unterwegs, zusammen mit zwei motorradfahrenden Freunden. Gestern stand die Rückfahrt nach Berlin an. Wir fahren auf einer polnischen Landstraße durch einen Wald, ich als Tourguide vorneweg. Bis zur deutschen Grenze bei Bad Muskau sind es noch etwa 30 Kilometer. Die Straße hat einige leichte Kurven, dazwischen auch immer wieder gerade Abschnitte von mehreren hundert Metern Länge. Der Asphalt ist guter polnischer Durchschnitt, nicht ganz glatt, aber auch kein kompletter Flickenteppich. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung wird nicht angezeigt, also sind 90 km/h erlaubt.


    Wir schließen auf einen polnischen PKW auf, der mit ca. 80 km/h unterwegs ist. Typisches Durchschnittsauto, ein Kombi älteren Baujahres, unauffällig. Auf einem geraden Abschnitt, Sichtweite ca. 200 Meter, nichts außer Wald links und rechts, setze ich zum Überholen an. Gang runter, blinken, ausscheren, Gas geben. In diesem Moment, ich bin dem PKW schon recht nahe, geschieht das Unfassbare: Der Fahrer setzt den Blinker links, und wechselt fast unmittelbar auf die linke Fahrbahn! Nur durch ein äußerst heftiges Bremsmanöver kann ich die Kollision verhindern. Irgendwie schaffe ich es noch, zu hupen. Da ich nur wenige Zentimeter vom Kofferraum entfernt bin, muss das den Fahrer ziemlich erschreckt haben. Er zieht wieder nach rechts rüber und lässt mich passieren. Meine beiden nachfolgenden Mitfahrer können unbehelligt überholen. Wir lassen den PKW hinter uns, der seine Fahrt in unsere Richtung fortsetzt.


    Durch den Schreck bin ich so voller Adrenalin, dass ich dem PKW-Fahrer gerne eine reingehauen hätte. Richtig denken kann ich in dem Moment nicht, sonst wäre mir vielleicht eingefallen, das Kennzeichen des Fahrzeugs zu notieren, zwecks Anzeige bei der Polizei. Stundenlang denke ich darüber nach, was den PKW-Fahrer dabei geritten hat. Wollte er uns maßregeln? Hätten wir erst seine Erlaubnis zum Überholen einholen sollen? War der Kerl betrunken? Oder ein Psychopath?


    In meinem Motorradleben habe ich bereits einige heikle Situationen erlebt. Vor allem in den ersten Jahren war ich es oftmals selbst, der die Situation durch Selbstüberschätzung oder Unachtsamkeit mitverursacht hat. Ich habe mir daher angewöhnt, die entsprechenden Situationen später noch einmal in Ruhe zu durchdenken und mich zu fragen, was ich hätte besser machen können. In oben geschilderten Fall fällt mir jedoch nichts Rechtes dazu ein. Andererseits war das Erlebnis für mich zu gravierend, als dass ich es einfach zur Seite legen könnte.


    Habt Ihr bereits etwas Ähnliches erlebt? Wie seid Ihr damit umgegangen? Welche Lehren/Konsequenzen habt Ihr für Euch gezogen?


    Ich bin gespannt auf Eure Erfahrungen!


    P.S. Eine gute Angewohnheit meiner Freunde ist es, immer ein Notfallblatt mitzuführen. Das Notfallblatt enthält die wichtigsten Daten für Sanitäter oder Retter, von medizinischen Informationen über Angaben zu Versicherungen bis hin zu Kontaktadressen. Ich führe seit einiger Zeit auch mindestens ein Notfallblatt mit. Noch besser sind mehrere Exemplare, und das Informieren der Mitfahrer, wo sie diese finden können.

  • Moin,


    es ist etwa 40 Jahre her und ich fuhr mit meinem ersten "richtigen" Motorrad nachts auf einer Landstraße im Dezember.

    Es war ca. 22 Uhr, ziemlich kalt aber trocken. Ich war frisch verliebt und die neue Freundin saß hinten drauf. Wir wollten in der nächsten Stadt einen Cappuccino trinken.

    Auf der völlig unbeleuchteten Landstraße sah ich, wie ca. 250m vor mir ein Auto auf die gleiche Straße in die gleiche Richtung einbog. Ich fuhr etwa 80 km/h schnell und näherte mich sehr schnell dem Auto. Als der Abstand noch etwa 50m betrug beschleunigte ich leicht, setzte ich den Blinker links und wechselte auf die Gegenspur. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug in Sicht.

    Dann kam der Moment wie Du, Wayne, ihn geschildert hattest: Das Fahrzeug vor mir auf der rechten Spur setzte den Blinker nach links und bog unmittelbar danach ab. Ich hatte nicht die geringste Chance, keine Zeit mehr zu hupen oder auszuweichen oder zu bremsen.

    Wir waren Zivi bzw. FSJ'lerin und hatten wenig Geld, und damals war die Auswahl an Motorradschutzbekleidung noch sehr dürftig und sehr teuer (wir hatten keine).

    Ich überstand den Aufprall leicht verletzt, allerdings mit Prellungen am gesamten Körper. Ich konnte zwei oder drei Nächte vor Schmerzen kaum schlafen weil ich keine geeignete Position fand.

    Meine Freundin hatte weniger Glück. Sie hatte einen offenen Unterschenkelbruch, das Schlüsselbein war durch und einen Tag nach dem Unfall - weil nicht mehr ansprechbar - wurde sie mit Verdacht auf Hirnblutung in eine Spezialklinik gebracht.

    Das Ganze entpuppte sich zum Glück bald als Knochenmarksembolie, sie wurde wieder vollständig gesund - aber das dauerte.

    Ich stand damals noch am Anfang meiner Moppedkarriere und gab das Fahren erst mal auf, während ich darüber nachdachte, ob ich überhaupt noch mal auf's Mopped steigen sollte.

    Erst ein Jahr später kaufte ich mir wieder ein Motorrad.


    Eine Erkenntnis habe ich daraus gewonnen - es gibt den Moment, an dem kannst Du nichts mehr machen - vielleicht noch aufstehen und sich auf die Fußrasten stellen, damit man nicht frontal im Auto landet, wo aber bremsen oder Ausweichen nichts mehr nutzen. Es wird einem klar noch bevor es kracht.

    So richtig vorbereiten kann man sich darauf eigentlich nicht.

    Man kann aber regelmäßig Motorradtrainings absolvieren um sein eigenes Können und die Beherrschung des Moppeds zu optimieren, damit man im Ernstfall optimal gewappnet ist.

  • Moin Jens,


    herzlichen Dank für das Teilen Deiner Erfahrungen!


    Du hast recht, es gibt den Moment, an dem kannst Du nichts mehr machen. Dann zu versuchen, einen direkten Aufprall des eigenen Körpers auf das Hindernis vor Dir zu vermeiden, könnte mit etwas Glück das Schlimmste verhindern. Schutzbekleidung ist natürlich ebenfalls nützlich, ohne diese steige ich nicht mehr auf.


    Vielen Dank für Deinen Hinweis auf Motorradtrainings. Das regelmäßige Absolvieren eines solchen Trainings halte auch ich für äußerst sinnvoll. Bei mir waren es bisher zwei Trainings, davon fand eines bei Regenwetter statt. Aus beiden Trainings habe ich wertvolle Informationen mitgenommen und hatte nebenbei noch eine Menge Spaß.


    Werde direkt mal schauen, wo ich mich kurzfristig für ein solches Training anmelden kann. Und mir für die Zukunft vornehmen, jedes Jahr ein Motorradtraining zu absolvieren.

    Die Linke zum Gruß, Olaf

    Einmal editiert, zuletzt von wayne1968 ()

  • Damals auf meiner Husky 610 TE bin ich einer Bundesstrasse entlang gefahren. Von rechts mündete eine kleine Landstrasse ein, begrenzt mit einem Stopp Schild. Von dort kam ein oller Kadett recht schnell. Ich nahm mit dem Fahrer Blickkontakt auf, aber er sah keinen Grund zu verzögern. Der Kadett fuhr mit voller Absicht mir vor den Bug, triftete quer vor mir auf die Bundesstrasse und fuhr in meine Fahrtrichtung weiter. Mit rasselndem ABS bin ich iwie um den Kadett herum gekommen, habe fertig überholt und bin dann rechts stehen geblieben.


    Aus dem Kadett hüpften blitzschnell zwei große, üble Typen (Ollis Kundschaft) und standen schon neben mir, als ich noch versuchte, das Bein über die Sitzbank zu schwenken. Offensichtlich geht es schneller, aus einem Auto auszusteigen, als ein Moped am Strassenrand abzustellen. Ob ich aufs Maul wolle, wurde ich gefragt. Meine "Vorfahrt" sei Ihnen scheißegal. Mein Leben übrigens auch. Ich fühlte mich unwohl und wurde bedrängt.

    In dem Moment war ich froh, doch noch zu auf dem Bock zu sitzen und bin abgehauen.


    Shit happens. Aber, was will man machen? Deswegen das Mopedfahren aufgeben?


    Bremsen und ausweichen üben, Fahrsicherheitstraining absolvieren und immer den Querverkehr im Blick behalten. Üben, blitzschnell nen Notausgang zu suchen. Mehr geht nicht.


    Ein Bekannter hat die peinliche Angewohnheit, unaufmerksame Autofahrer zu überholen, auszubremsen und schullehrerhaft zur Rede zu stellen. Wie bei Miami Vice - das ist auch keine Lösung, Oma Erna anzukacken. Mit dem fahre ich nicht mehr zusammen.


    Übrigens verlasse ich mich nicht mehr auf den Blickkontakt beim Querverkehr - ich gucke nach den Felgen, da sieht man am Besten, ob die Karre rollt.

    "Das meiste auf der Welt geht nicht durch Gebrauch kaputt, sondern durch Putzen."

    (Erich Kästner)

    Es grüßt der Waldschrat

  • Moin

    Es kommt wie es kommt..wenn Ort,Zeit und Zufall perfekt passen,machen wir nichts mehr.

    Muss sagen, bis auf einen Wildunfall ,in meinen Anfängerjahren, hatte ich nichts wo ich hätte nicht mehr fahren wollen.

    Auch ich drehe gerne mal am Griff,aber die meiste Zeit genieße ich lieber das entschleunigte fahren.

    Letztes Jahr hätte mich jemand beinahe mit meiner Goldwing aus einem Kreisverkehr gekickt,aus Gewohnheit beobachtete ich den Fahrer aber schon und konnte reagieren.

    Aufregen tue ich mich schon lange nicht mehr über solche Situationen.

    Rechne immer mit der Dummheit Anderer..das hilft mir jedenfalls ungemein.

    Allzeit gute Fahrt

    GOO

  • Das ist auch meine Vorgehensweise.

    Auch wenn ich etliche Leute zu Unrecht verdächtige...

    Ich fahre immer so, als ob alle, aber auch wirklich alle, anderen Idioten wären, die kein Auto oder Motorrad fahren können. Durch diese Vorgehensweise bin ich auf alles halbwegs vorbereitet und kann hinterher sagen, "Wusste ich doch". In der Regel liege ich damit glücklicherweise falsch. Aber ich bin auf alles vorbereitet und kann mich vorher drauf einstellen.

    Damit bin ich mein Leben lang gut gefahren, mir fällt keine Situation ein, die brenzlig war.

    Wenn jemand wie bei Christian absichtlich eine Gefahrensituation herbeiführen will, hat man natürlich nur eine sehr kleine Chance.

  • Dass jemand nach links ausschert/abbiegt in dem Moment wenn man ihn überholt kann man zwar ein kleines bisschen dadurch "entschärfen", dass man mit viel Abstand überholt - aber trotzdem halte ich das für eine der gefährlichsten Situationen überhaupt. Denn man kann es kaum voraussehen - und dann geht es sehr schnell, dass man abgeschossen wird. Ich hab mir in manchen Situationen angewöhnt, zu hupen beim Überholen (auf den schmalen norwegischen Straßen wenn ein Wohnmobil mitten auf der Straße fährt und nicht damit rechnet, überholt zu werden) oder bin zumindest hupbereit. Aber es bleibt trotzdem gefährlich.

    Zweimal wurde ich in den letzten Jahren auf diese Art in Stuttgart (mit dem Roller) abgschossen - einmal wars ein Auto mit einem defekten hinteren linken Blinker und das andere Mal ein Polizeiauto, das ohne Blinken plötzlich nach links abbog ;-)

    In beiden Fällen gabs übrigens keine Diskussion über die Schuldfrage - die lag beim Abbieger.

    Gruß, Michael

  • Herzlichen Dank für Eure wertvollen Erfahrungsberichte!


    So defensiv zu fahren, als ob alle anderen Verkehrsteilnehmer Idioten wären, ist sicher eine gute Devise. Das versuche ich normalerweise auch, aber anscheinend muss ich darin noch besser werden.


    Der Ratschlag von Michael, vorsichtshalber vor dem Überholen kurz zu hupen, erscheint mir auch sehr wertvoll. In meinem konkreten Fall hätte das möglicherweise geholfen: Vielleicht war dem PKW-Fahrer bewusst, dass wir hinter ihm fahren. Vielleicht wollte er noch schnell ein Schlagloch umkurven, hatte aber nicht realisiert, dass ich bereits zum Überholen angesetzt hatte. Ein kurzes Hupen vor dem Überholen hätte dem Fahrer meine Absicht signalisiert. Das Hupen vor dem Überholen ist tatsächlich auch in Deutschland erlaubt, solange es außerorts erfolgt (Quelle).

  • Blöde Frage...

    Wenn ich mit meiner serienmäßig krächzenden Hupe versuche Krach zu machen, hört das überhaupt jemand???

    Wenn ich da noch den Fahrtwind,die evtluell laute Musik im Auto, oder eine abgelenkte Person am Steuer, einkalkuliere,eher selten bis gar nicht..ich würde nicht drauf bauen..Ich versuche auch in den linken Spiegel des Fahrzeugs zu schauen.. da sieht man hin und wieder womit man evtl rechnen müsste..hat halt jeder so seine Taktiken..

  • wernickel Danke, guter Einwand!


    Eine Hupe muss natürlich gut hörbar sein, sonst erzeugt sie nur eine trügerische Schein-Sicherheit.


    Ich habe etwas gestöbert und folgendes gefunden:

    • Eine Fahrzeughupe benötigt in Deutschland eine ABE. Sie darf auch nicht zu laut sein (Quelle).
    • Die beliebten Denali SoundBOMB Mini haben keine ABE und sind im Übrigen wohl etwas zu laut.
    • Die Firma Stebel hat eine breitere Auswahl an Motorrad-Hupen. Scheinen aber derzeit Lieferschwierigkeiten zu haben.
    • Gut hörbar sollen auch die Hupen der BMW F650 und C1 sein. Gibt es vermutlich gebraucht günstig zu kaufen.
    • Ansonsten darf theoretisch auch jede PKW-Hupe mit ABE montiert werden. Muss natürlich mechanisch/platztechnisch sowie elektrisch passen (bei einer stromhungrigen Hupe ist ggfs. der Anschluss über ein Relais nötig).

    Selbst fahre ich noch mit der originalen Hupe herum. Die könnte von mir aus ruhig etwas lauter sein. Die nächste Inspektion steht bald an, dann nehme ich sowieso die Verkleidung runter. In diesem Zuge könnte ich auch eine lautere Hupe montieren.

    Die Linke zum Gruß, Olaf

    Einmal editiert, zuletzt von wayne1968 ()

  • Das mit der Hupe dachte ich mir schon, deswegen habe ich sie noch nie benutzt.


    Zu dem originalen Thema,

    ich habe ein uraltes Buch übers Mopedfahren.

    Dort stand drin, man solle beim Überholen auf das Vorderrad des Überholten achten, da sieht man jede Änderung sofort.

    Das habe ich bereits vor 45 Jahren verinnerlicht und bin damit bisher gut gefahren.