@ all,
ist nicht von mir, aber Interessant mal zu lesen!
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DREHMOMENT, SCHRAUBEN UND GEWINDE
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FAQ von Volker Bartheld, V. 0.9 vom 10.02.2003
1) "Handfest"
Zunaechst: Die meisten Schrauben/Muttern werden - so es sich nicht um
irgendwelche abgefahrenen Sonderschrauben (dazu komme ich spaeter)
handelt - "handfest" angezogen. Schoen. Handfest. Was ist denn handfest?
Handfest bedeutet, dass mit einem fuer die Verbindung adaequaten
Werkzeug so fest gezogen werden muss, dass ohne Gegenhalten,
Verlaengerung und/oder Abstuetzen ein erheblicher Kraftaufwand notwendig
waere.
Nun stellt sich die Frage: "Was ist Adaequat?". Adaequat bedeutet fuer
M3-M6 und SW 3-13 bzw. Inbus bis Gr. 6 eine Knarre mit 1/4" (Standard
fuer derartige Verbindungen) und einem Griff, der kaum laenger ist als
die Hand breit. Darueber ist eine 1/2"-Knarre angezeigt, SW 14-21. Alles
andere ist eigentlich Traktormechanik.
Dito bei den (Kreuz)Schlitz-/ Philips-/ Torx-/ Innenvielzahn-/ Pozidriv
und sonstigen Schrauben, die man mit einem Dreher betaetigt: Normale,
ballige Handgriffform, Gegenhalten am angeschmiedeten Sechskant _nur_
beim Loesen, Schlagschrauber sowieso _NUR_ dann!
2) Zum Beispiel
Ein Beispiel - nehmen wir die vielgeruehmte KTM-Oelablassschraube. Ohne
die genaue Groesse jetzt im Kopf zu haben, wird es sich hier um eine
17er Schluesselweite handeln, obendrein steckt sie noch in einem
(kurzen) Aluminiumgewinde. Aber wir werden sehen, dass das kaum eine
Rolle spielt. Wir nehmen also unsere Stahlwille 1/2" Knarre mit
Verlaengerung (aber an der Stecknuss, nicht am Griff!!) und fixieren die
Schraube.
Das Anzugsmoment "30 Nm" bedeutet eine Kraft von 30 Newton an einem
Hebel von 1 Meter. Meine Knarre ist gut 25cm lang (etwas laenger, aber
es zahlt die Handballenmitte), daher darf ich rund 120 Newton in dieser
Entfernung aufbringen.
120 N entspricht einer Masse von 12 kg (in etwa, auf der Erde und am
Aequator...) und ist - wie man sich durch das Zusammendruecken der
Badezimmerwaage hochkant zwischen den Haenden vergegenwaertigen kann -
ziemlich und ueberraschend viel Holz! Ohne Abstuetzen wird sich hier der
normalgebaute Schrauber schon schwertun, diese Schraube erheblich fester
"anzuknallen".
3) Streckgrenze
Beim Nenndrehmoment gehen die typischen Schrauben schon ein klein wenig
in die Dehnung, von ihrer Streckgrenze sind sie dann aber meistens noch
mindestens 50-100% entfernt (obige Schraube wuerde also durchaus bis zu
60 Nm aushalten, bevor sie abreisst - damit wuerde man u. A. auch die
Achsmutter der hinteren Steckachse ordnungsgemaess angezogen haben, nur
als Anschauungsbeispiel).
4) Materialien
Probleme tun sich bei Leichtmetall- und Edelstahl- (V2A und V4A)
Gewinden auf: Die sind naemlich zumeist empfindlich gegenueber
Verschmutzung, schiefem Eindrehen und roher Gewalt und die
Gewindeflanken sehr schnell "ausgenudelt" - die Schraube wackelt. Im
obigen Beispiel ist also speziell das Innengewinde im Motorblock mit
einem Lappen zu reinigen, dito die Ablassschraube selbst, ein Klecks
Fett hat in diesem Zusammenhang noch nie geschadet (mehr zum Thema
Schmiermittel weiter unten).
Selbstredend werden Schrauben _IMMER_ bis zum Ansitzen mit der Hand
eingedreht, im Fall der Umschaltknarre nimmt man einfach die Stecknuss
mit deren verlaengerung in die Hand. Ganz wichtig ist diese
Vorgehensweise bei Feingewinden, z. B. der Zuendkerze, weil man hier
auch verkantet relativ weit kommt und eine Stahlschraube (die die
Zuendkerze ja gewissermassen ist) im Leichtmetall schon recht weit
kommt.
5) Probleme beim Eindrehen
Tritt auf diesem Weg ein ungewoehnlich hoher Widerstand auf, der einen
Griff zum Betaetigungswerkzeug nahelegt, ist das Gewinde verdreckt und
soll mit Druckluft, Bremsenreiniger gereinigt bzw. mit einer
Gewindefeile oder einem Gewindeschneider ausgebessert werden. Eine
Schraube "reinzuwuergen" um das Gewinde durchzuputzen ist eine schlechte
Idee, weil im Gegensatz zum Gewindeschneider kein Platz fuer Spaene,
Dreck oder sonstige Materialien ist. In der Folge verklemmt sich die
Schraube und das weichere Material gibt nach. Edelstahl ist zwar relativ
zaeh aber deutlich weniger hart als der Stahl einer normalen 8.8 oder
12er Schraube und daher "kippen" die Gewindegaenge schnell um bzw. die
Schraube laengt sich irreparabel.
6) Schmieren von Gewinden
Fuer das Schmieren von Gewindeverbindungen gibt es eine einfache Regel:
Alle Schrauben, die sich spaeter wieder loesen lassen sollen und fuer
die _kein_ Schraubensicherungslack vorgeschrieben ist, _duerfen_
geschmiert werden. Zu beachten ist, dass ggf. das vorgeschriebene
Drehmoment etwas zu reduzieren ist, da die Daten fuer einen trockenen
Metallkontakt gelten.
Aus eigener Erfahrung schmiere ich
- Gabelklemmschrauben,
- Verkleidungsschrauben fuer Tank und Sitzbank,
- Zuendkerzen,
- Schrauben und Huelsen der Umlenkhebelei,
- Verbindungs- und Klemmschrauben an der Abgasanlage, nicht aber die
Schrauben am/im Auspuff selbst.
Zum Schmieren eignet sich Oel, lithiumverseiftes Mehrzweckfett (das
MOS2-Fett schmutzt zu sehr und sollte nur an der Umlenkhebelei und/oder
dem Federbein sowie dem Radlagerinneren eingesetzt werden), Silikonfett
oder Kupferfett (Bremsanlage - ich bevorzuge Silikonfett mittelschwer,
weil es weniger schmutzt und Staub anzieht, Zuendkerze - hier ist
Kupferfett gut geeignet), Keramikpaste (Bremsanlage, Auspuffanlage -
hier aber auch Kupferfett) sowie Teflonspray und -oel fuer die
Staubkappen der Gabelinnenrohre bzw. den Schwammtuchstreifen zwischen
Gabelsimmerring(en) und Staubkappe(n), so sich dort einer befindet.
Ein Tip: So komisch es sich anhoeren mag, aber an Schrauben, die dem
Oelkreislauf angehoeren lieber _kein_ Oel zum Schmieren nehmen sondern
Fett. Grund: Eine Undichtigkeit kann so leichter erkannt werden weil
kein Tropfen Schmieroel noch am Schraubengewinde oder Dichtring klebt.
Natuerlich kann man daraus eine Wissenschaft machen, doch das reicht
fuer's erste.
7) Schraubensicherungslack
Schraubensicherungslack gehoert an
- Bremsscheibenschrauben,
- Kettenrad- und Ritzelschrauben,
- sonstige Verkleidungsschrauben,
- Hebelschrauben,
- Rahmenheckschrauben,
- Kickstarter-, Schalthebel- und Bremshebelschrauben,
- diverse Schrauben im Motorinneren, fuer die das vorgeschrieben ist.
Zum Thema "Schraubensicherungslack": Generell den Loctite 243
(mittelfest) nehmen, so nicht anders angegeben. Der 270 (hochfest) kann
bei Raumtemperatur und normalem Werkzeug nahezu nicht mehr geloest
werden. Es gibt dann noch Lagerkleber fuer wackelnde Rad- und
Lenkkopflager und diverse andere Spezialmittelchen. Loctite immer auf
die entfettete Verbindung geben, und zwar auf das Gewinde und _vor_ dem
Einschrauben. Ein Tropfen genuegt, viel hilft nicht viel. Der Lack
haertet unter Luftabschluss.
Nur Gefahrensucher verwenden Klebstoff auf Cyanoacrylatbasis!
8) Drehmomentschluessel
Zunaechst mal ein Wermutstropfen: Schluessel aus dem Baumarkt taugen
nicht viel, man gibt sich einer oft truegerischen Sicherheit hin und
reisst mit einem zu langen Griff gerne mal die Schrauben ab, die man
eigentlich schonen moechte.
Extrembeispiel: Drehmomentschluessel 5-100 Nm, Toleranz 15%,
Bremssattelentlueftungsschraube: Die Toleranz ist bei billigen
Schluesseln oft auf ein mittleres oder Nenndrehmoment spezifiziert (ohne
Pruefzertifikat kann das nahezu alles sein) - die Entluefterschraube
soll mit 10 Nm festgezogen werden - das koennen aber gerne auch 20 Nm
sein, Toleranz sei dank. Und bei 20 Nm ist die Schraube ab, der
Gewinderest steckt im Sattel. Jeder Normalmotoriker haette aber niemals
diese Schraube so fest angezogen, nach Gefuehl.
Fazit: Drehmomentschluessel richtig und sparsam einsetzen! Die Teile
verschleissen naemlch auch und muess(t)en nachgeeicht werden.
Wo einsetzen? Z. B. am Zylinderkopf und Lichtmaschinenrotor, wo es
auf penible Sorgfalt ankommt und sich eine Schraube auf _gar keinen_
Fall loesen darf. Wo nicht (ein wenig Fingerspitzengefuehl
vorausgesetzt, s. oben "handfest")?
- Steckachsmutter
- Gabelklemmschrauben
- Lenkerklemmschrauben
- Gehaeuse- und Verkleidungsschrauben
- Spiegelklemmschrauben
- Schrauben mit Schlitz o. Ae.
Ueber Hohlschrauben, Entluftungsschrauben und Ablassschrauben kann
man sich streiten. Ich verwende dort _keinen_ Drehmomentschluessel, weil
hier meistens "handfest" reicht. Wer sich das nicht zutraut, kann sich
ja mit dem Drehmomentschluessel ein Gefuehl im Handgelenk verschaffen
und dann in Zukunft normales Werkzeug verwenden.
Wie einsetzen? Den Drehmomentschluessel so waehlen, dass das angestrebte
Drehmoment etwa in der Mitte des moeglichen Drehmoments liegt. Das
erfordert die Anschaffung von _mindestens zwei_ Schluesseln, ein
1/4"-Werkzeug mit 5-50 Nm und ein 1/2"-Werkzeug mit 40-250 Nm. Immer
Schluessel mit "Klick" (und keine mit Skala) waehlen, solche nennt man
"Automatisch". Ach ja: Mit rund 100 Euro pro Schluessel ist man immer
dabei.
9) Gewindeschneider
Ein guter Gewindeschneider ist teuer, hart aber zaeh (damit er nicht
abbricht), hat eine ordentliche Spanabfuehrung (nach hinten fuer
Sackloecher - der hat spiralige Einfraesungen - nach vorne fuer
Durchgangsloecher - mit geraden Einfraesungen), scharf und fuehlt sich
mit Gewindeschneidoel (notfalls auch harzfreies Oel wie Ballistol)
senkrecht angesetzt und mit ordentlichem Betaetigungswerkzeug in das
genau passende Kernloch eingedreht am wohlsten.
Als Betaetigungswerkzeug eignet sich eine umschaltbare Knarre mit Recht-
und Linkslauf sowie Blockierung am besten. Die gaengigen Modelle koennen
mit zwei Klemmbacken den Vierkant eines Gewindeschneiders unverrueckbar
fixieren.
Ob man nun einen taillierten 2-in-1-Fertigschneider (der den Vorschnitt
und den Hauptschnitt gleich mitnimmt) oder einen 2er Satz einzelner
Schneider bevorzugt, haengt vom Aufgabengebiet, dem Geldbeutel und der
persoenlichen Vorliebe ab.
Beim Gewindeschneiden moeglichst nicht (oft) zurueck - die Werkzeuge
werden sonst sehr schnell stumpf.
10) Helicoil und TimeSert
Beide Produkte gehoeren zur grossen Familie der Gewindereparaturhelfer,
wobei es sich beim Helicoil um eine Stahlfeder handelt, die in ein
(vorher anzufertigendes) Uebermassgewinde von genau der Steigung des
ruinierten Gewindes eingedreht und verklemmt wird. Dafuer braucht es
relativ wenig "Fleisch", d. h. Materialstaerke rings um das Gewindeloch
aber einen speziellen, teuren Gewindeschneider. Helicoil wird gerne bei
defekten Zuendkerzengewinden eingesetzt.
TimeSert ist eine Gewindebuchse (manchmal auch mit Bund, je nach
Ausfuehrung), mit Innengewinde (das in Durchmesser und Steigung dem
defekten Gewinde entspricht) und Aussengewinde, das ueblicherweise
Normmass hat.
Vorteil: Die Buchse kann eingeklebt werden und haelt nahezu beliebig
viele Ein- und Ausdrehvorgaenge aus. Nachteil: Es wird relativ viel
"gesundes" Material weggeschnitten.
Beim Arbeiten mit beiden Produkten penibelst auf den Verbleib von
Spaenen und anderen Fremdkoerpern achten, ggf. den Gewindeschneider
einfetten und das Bohrloch anschliessend spuelen und reinigen.
Anhang
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A) Dicht- und O-Ringe
Hier sollte man sich vor Augen fuehren, dass die Schraube bzw. die
Gewindeverbindung selbst (im Gegensatz z. B. zur Entlueftungsschraube am
Bremssattel mit Konussitz und Bohrung) _keine_ Abdichtungsfunktion hat.
Fazit: Die Schraube muss nur halten bzw. nicht herausfallen und den
Dicht-/O-Ring leicht komprimieren. Daher lieber die Dichtflaeche penibel
reinigen, neue O- bzw. Dichtringe bzw. Papierdichtungen nehmen und sie
ordentlich fluchtend und ggf. leicht gefettet bzw. geoelt (damit die
Dichtung nicht im unguenstigsten Fall herunterfaellt) montieren.
Es gibt eine ganze Litanei unterschiedlicher Gummisorten fuer Dicht- und
O-Ringe:
- Silikonkautschuk (Standard-O-Ring),
- Viton (Kraftstoff und Oelbestaendig),
- Bunan (wie Viton nur mit erweitertem Temperaturbereich),
- Silikon (im Vergleich zu Bunan noch weiterer Temperaturbereich, dafuer
aber weniger Scherstabilitaet) - und einige weitere Exoten.
Generell laesst sich sagen, dass sich der Hersteller bei der
Materialauswahl schon einiges gedacht hat. Am Kraftstoffhahn, dem
Oelfilterdeckel oder der Getriebeausgangswelle hat ein "normaler" O-Ring
nichts verloren - ausser man moechte die halbzerfressene Gummipampe
irgendwann wieder aus den Nuten der Verbindung kratzen.
Tip: Viele Haendler, die (Kugel)lager und Simmerringe vertreiben haben
auch die unterschiedlichsten O-Ringe auf Lager.
B) Simmerringe
An Simmerringen gibt es eine ganze Reihe:
- Mit Metallkaefig,
- mit Metallkaefig und Gummiummantelung,
- mit zusaetzlicher (zweiter) Dichtlippe,
- fuer erweiterten Temperaturbereich und
- unterschiedlichsten Bestaendigkeitsklassen (s. oben).
Auch hier sollte man auf die Auswahl von dem Original aequivalenten
Produkten achten, Simmerringe mit Metallkaefig koennen ueblicherweise
gegen solche mit Gummiummantelung ausgetauscht werden.
Ausbau: Wer nicht ueber einen Simmerringzieher verfuegt, kann den
Metallkaefig von vorne an drei Stellen ankoernen und dann kleine Loecher
bohren. Dabei auf Spaene achten und die darunterliegenden Teile nicht
beschaedigen. Anschliessend mit einer passenden Blechschraube, Haken
oder "Korkenzieher" herausziehen und -hebeln.
Einbau: Bei der Montage nicht verkanten, ggf. Einziehwerkzeug benutzen
und beim Eintreiben mit dem Durchschlag nicht auf die Gummilippe sondern
den Kaefig schlagen letzteren dabei moeglichst nicht verbiegen.
So, jetzt geht mir ein wenig die Zeit (=Lust) aus - ich hoffe aber, dem
einen oder anderen geholfen zu haben.
Viel Spass beim Selberschrauben,
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Und immer voher schön Beten:
Guter Gott der Grobmechanik
bewahr auch heute mich vor Panik
lass mich bei dem Schraubensenken
stets an Dein Evangelium denken.
“Ich, Gott, der diese Schrauben schuf,
rechtsrum zu und linksrum uff,
geb dir die Weisheit bis ins Grab:
für Schrauben gilt: nach fest kommt ab.