Ich möchte mal wieder ein bisschen auf die konkretere Praxis der E-Mobilität zurückkommen. Und zwar themengerecht für ein Motorrad-Forum!
Ich bin vorhin auf ein Video eines noch sehr kleinen Youtubers, der sicher noch nicht von der Werbung vereinnahmt ist und den Firmen nach dem Mund redet. Gleichzeitig aber ist er ganz sicher auch ein Enthusiast - wie fast alle, die sich was Besonderes gegönnt haben.
Hier geht es halt um ein Motorrad. Der Gute - einer der Erben Wilhelm Tells - hat sich eine Energica Experia zugelegt. In bereits 4 oder 5 Videos beschreibt er sein Schätzchen, führt es vor und zeigt auch die Reichweite bei unterschiedlichen Fahrprofilen. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere überrascht sein wird, wie weit er seine Touren ausdehnen kann, ohne unterwegs nachladen zu müssen.
Wenn jemand mit dem Motorrad Reisen unternimmt und dabei recht zügig unterwegs ist, wird er es dennoch als Einschränkung empfinden, in welchen Abständen er für eine halbe Stunde "an die Box" muss. Anders aber bei Leuten, die es - wie der Schweizer Kollege - ruhig angehen lassen und eben nicht reisen, sondern Ausfahrten unternehmen.
Bei MIR wäre seine km-Ausbeute auf jeden Fall deutlich mehr, als ich bei meinen Fahrten (meist spontane Nachmittags-Touren mit wenig Autobahnanteilen) je gebraucht hätte. Ich bin selten über 200 km hinaus gekommen, aber selbst 250 wären (nach den Erfahrungen des Schweizers) problemlos drin gewesen und es hätte ohne zu laden bis zuhause gereicht. Wenn es mal mehr geworden wäre.....also eine halbstündige Pause wäre dann nicht nur drin gewesen, sondern sogar notwendig und angenehm.
Einziger Knackpunkt für mich wäre der Preis: 30 k€..... die muss man schon über haben, wenn es um ein Hobby geht. Und ich denke, dass die Goldwing-Klientel, die halt so viel für ein Motorrad auszugeben bereit/fähig ist, nicht unbedingt die Zielgruppe für eine Energica Experia ist, und eben ein ganz anderes Nutzungsprofil hat als, nur Nachmittagsausfahrten.
Aber schauen wir uns doch mal die Reichweiten-Erfahrungen des Schweizer Stromers an.
Was mir so auffällt: Die Reichweitenanzeige im Panel kann man sicher nicht ernst nehmen. Die hätte man wohl auch weglassen können. Das sagt der Youtuber aber auch schon selbst in seinen Videos. Dagegen scheint mir die %-Anzeige des Ladezustands recht linear und damit gut nutzbar zu sein, um den nächsten notwendigen Ladestopp bzw. die Notwendigkeit eines Ladestopps gut einschätzen zu können.
Der Kollege ist auch eher verhalten unterwegs, dafür aber ist die Strecke eine Berg- und Talbahn (du gewinnst beim Bergabrekuperieren nicht so viel wieder zurück wie du beim Bergauffahren verheizt). Wenn er da also auf 260 km kommt (niemand will den Akku komplett leer fahren...), dann gehe ich mal davon aus, dass ich in den Gefilden, in denen ich unterwegs wäre, (sehr flach - SH, NS, MVP und ggf. Dänemark), wären bei Bundes- und Landstraßen-Fahrerei sichere 300 km und mehr drin.
Es gibt noch einige wenige weitere Videos auf dem Kanal, die ich jetzt mal nicht verlinke, sondern es denen, die es interessiert, überlasse, da mal reinzuschauen. Autobahnfahrt, Abholung und Überführung der Maschine beispielsweise. Und alles unaufgeregt und sachlich und ohne das Gefühl, dass der Kamerad einem unbedingt was verkaufen will.
Analog zur Reichweite ist der Verbrauch doch recht gering. Nach den Analysen der jungen Mannes entspricht der Verbrauch auf der Bundesstraße in etwa dem meiner damaligen ST1100 und auf der Autobahn (120 bis 130) ca. dem 1,5-fachen einer ST1100. Nur eben kWh statt Liter auf 100 km - wobei eine kWh zuhause (abgesehen von eventueller Solarausbeute) bei unseren aktuellen Stromkosten etwa 1/6 des Spritpreises (Stand heute 14:30) beträgt. Und selbst, wenn man unterwegs an öffentlichen Schnellladern lädt, beträgt der kWh-Preis gerade mal 1/3 des Literpreises für Sprit.
Nichts desto weniger und umso trotz: Um so viel sparen zu können, muss man - siehe Preis - defintiv sehr viel investieren. Und zwar mehr, als man wohl jemals an Energie-/Betriebsstoffkosten einsparen wird. Das darf man nicht verkennen und das lässt sich auch nicht schönreden. Mit Sparen hat es also unterm Strich nicht wirklich was zu tun. Selbst dann nicht, wenn man ganz oder überwiegend den selbstgepressten Strom vom Dach nutzen kann.
Immerhin: Viel Fahrspaß, keine Lärmbelästigung, hoher Fahrkomfort (quasi nebenbei bekomme ich eine Automatik, die noch komfortabler ist als ein aufwendiges DCT-Getriebe, aber konstruktiv erheblich weniger aufwendig). Und das gute Gefühl, so einiges von meinem Fahrstrom mit der Sonne abzurechnen. Beim Auto klappt das für den Alltag schon wunderbar.
Die Experia sieht super aus, wie ich finden, aber das ist dann halt Geschmackssache.