Für und wider Elektro-Kutsche

  • Das ist Whataboutism in Reinkultur, gilt in die eine wie in die andere Richtung.

    Na, ich finde, da hat er schon einen Punkt. Das E-Auto ist weder der Erlöser von allem Übel, noch ist es abgrundböse. Eine differenzierte Betrachtung schadet gewiss nicht. Das böse in seinem Wesen sehe ich am meisten darin, dass es uns vorgaukelt, es könne alles so weitergehen wie bisher - eben nur mit einem anderen Antrieb.


    Das ist ein trojanisches Pferd!


    Die Gesellschaft ist derzeit gespalten in das konservative Lager und das progressive. Auf der konservativen Seite sammeln sich die Phlegmatiker ("lass mir meine Ruhe!"), die Defätisten, die die Schlacht verloren geben, bevor sie überhaupt geschlagen ist - und sie deshalb verlieren werden (Das ist die "Wir alleine können eh nix machen" und "Guck mal China/Indien/Überbevölkerung"-Fraktion) und die Erzkonservativen, die grundsätzlich gegen jedwede Veränderung sind und dafür sofort bereit sind alle möglichen Fakten auszublenden, so drängend sie auch sein mögen.


    Auf der progressiven Seite sammeln sich diejenigen, denen bewusst ist, dass die Welt kein statisches Gebilde ist, sondern einer Entwicklung unterliegt, also voranschreitet. (Progressiv heißt voranschreitend). Diese Entwicklung betrifft alle Bereiche, gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch, militärisch, wissenschaftlich, klimatisch. Nichts bleibt beim Alten, alles verändert sich, selbst die Umdrehungszahl der Erde. In diesem Weltbild scheint es geradezu absurd, zu erwarten, man könne immer mit allem so weitermachen wie bisher. Vielmehr muss man die Entwicklungen antizipieren, vorausschauend gegensteuern oder im Nachhinein reagieren, wie auch immer. Auf jeden Fall ist alles ständig im Fluss, ganz im Gegenteil zum statischen Weltbild der Konservativen.


    Dass beide Seiten einander nicht gerade wohlgesonnen sind, braucht man eigentlich nicht groß zu erwähnen. Dass beide Seiten im Internet großartige Echokammern mit Gleichgesinnten finden, in denen sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und "Wir sind das Volk!" grölen können, auch nicht.


    Wenn man jetzt mal die progressive Seite unter die Lupe nimmt, findet man die Gruppe derer, die offenbar Nächte lang im Bett auf und ab marschieren und sich den Kopf darüber zerbrechen, was sie anderen gerne verbieten würden (Tempolimit, Fleischkonsum, privater, motorisierter Verkehr, Rauchen, Saufen ...). Selbstkritik? Fehlanzeige! Erst sollen alle anderen mal das eigene, erhabene Niveau erreichen! Es finden sich aber auch alle Grade der Bereitschaft, wirkliche, persönliche Konsequenzen zu ziehen, Verzicht zu üben, bis hin zu Aktivisten, die im Jahr ganze drei Liter Restmüll produzieren. Dennoch schafft es niemand, dass das eigene Verhalten, multipliziert mit den acht Milliarden der Weltbevölkerung, irgendwie unproblematisch wäre.


    Trotzdem ist das der eigentliche Lackmustest: Wie weit geht meine persönliche Bereitschaft, Konsequenzen aus dem zu ziehen, was ich nun mal weiß? Alles andere ist letztlich kognitive Dissonanz. Du Bauer weißt, dass du dir die Existenzgrundlage zerstörst, wenn du weiterhin das Grundwasser vergiftest. Dennoch tust du es, und wenn man es dir verbieten will, rammst du grüne Kreuze in den Acker. Du Raucher weißt, dass dich die Qualmerei langfristig ins Grab bringen wird, dennoch lässt du es nicht bleiben. Du Motorradfahrer weißt ...


    Und da mogelt sich jetzt das Elektroauto rein. Auf der progressiven Seite mischt es sich unters Volk und flüstert den Leuten ins Ohr, dass Autofahren gar nicht so schlimm sei, wenn man nur das richtige Auto wählt. Dass es dem Radfahrer letztlich egal sein kann, ob er von einem konventionellen oder einem E-Auto ins Jenseits befördert wird, dass die Stadt kein Stück lebenswerter wird, ob nun konventionelle oder E-Autos überall herumwuseln und alles zuparken, dass der Stau keinen Meter kürzer wird, dass das Mikroplastik aufgrund des Reifenabriebs der schweren Karren eher zu- als abnehmen wird, dass zu seiner Herstellung eine Menge Energie nötig war, all das verschweigt es. Und so stellt es sich der Edel-Öko vor die Tür und kullert mit reinem Umweltgewissen die 20 km zum Öko-Bauern, um dort einen Liter Milch zu kaufen.


    Und damit hat das E-Auto wieder einen von der progressiven auf die "Hey, kann ja alles so weitergehen!"-Seite gezogen.

  • Gutemine: Im Großen und Ganzen stimme ich zu.


    Ergänzend möchte ich Position beziehen gegen diesen elenden Satz: "Das ist auch nicht das Allheilmittel!" "Allheilmittel" gibt es nur im Märchen - und darauf hinzuweisen, dass irgendwas kein Allheilmittel ist, das hat extrem wenig Erkenntniswert. ;-) Die Frage ist nicht, ob etwas ein Allheilmittel ist, sondern ob etwas "gut" ist. "Gut" im Sinne von: "Besser als die Alternative". Und dies natürlich unter gleichen Voraussetzungen - also zum Beispiel: "Ich kaufe mir jetzt ein neues Auto - ist es besser für die Umwelt (wohl leider nicht für den Geldbeutel) wenn ich einen Verbrenner kaufe oder ein E-Auto?"


    Da ich mir sicher bin, dass das Elektroauto für die Umwelt besser ist als die Verbrenner, bin ich bei diesem direkten Vergleich dafür. Wenn ich das Elektroauto jedoch vergleiche mit dem öffentlichen Nahverkehr oder dem Fahrrad, dann ist es "schlechter" für die Umwelt - dann bin ich an Stellen, wo diese eine Alternative sind (also z.B. in Innenstädten) eher für diese.


    Was ich echt schräg finde: Wenn ein Verbrenner-Auto-Fan darauf hinweist, dass das Elektroauto auch Probleme verursacht (was stimmt) und damit dann unterschwellig sein Bevorzugen des Verbrenners rechtfertigen will.

  • Ergänzend möchte ich Position beziehen gegen diesen elenden Satz: "Das ist auch nicht das Allheilmittel!" "Allheilmittel" gibt es nur im Märchen - und darauf hinzuweisen, dass irgendwas kein Allheilmittel ist, das hat extrem wenig Erkenntniswert. ;-)

    👍

    Auch so'n Internet-Phänomen. Diese Schwarzweißmalerei. Ich habe diesen Satz zwar wörtlich nirgendwo auf die Schnelle gefunden, aber das ist eine gängige rhetorische Taktik. Eine Sache hat 20 Vorteile und einen Nachteil. Diesen pickt man raus, überhöht ihn grotesk, womit nur noch dieser diskutiert wird und die 20 Vorteile in Vergessenheit geraten.


    Andererseits - und das zur Verteidigung der Gegenseite: Der Ingenieur weiß aber auch, dass er seine ganze tolle Konstruktion überhaupt nicht zu beginnen braucht, solange er für ein Detailproblem noch keine Lösung gefunden hat. Oder analog beim Motorradfahren: Das ist zwar eine tolle Linie durch diese Kurvenkombination, aber sie kreuzt bei voller Schräglage diese Dieselspur. Da kann dann schon mal ein Gegenargument alle sonstigen Vorteile überwiegen.

  • Es wäre schön gewesen,wenn du meine Begründung dazu ebenfalls zitiert hättest. So macht es den Eindruck, als hätte ich grundlos deine Aussage angezweifelt. Ist auch eine Form der Meinungsmache.

  • Es wäre schön gewesen,wenn du meine Begründung dazu ebenfalls zitiert hättest. So macht es den Eindruck, als hätte ich grundlos deine Aussage angezweifelt. Ist auch eine Form der Meinungsmache.

    Was genau an "letztlich auf den Strommix bezogen" verstehst du nicht? Wenn ich behauptet hätte, dass der Kaffee um so heller wird, je mehr Milch man reinkippt, würdest du dann auch Zweifel anmelden?

  • Was genau an "letztlich auf den Strommix bezogen" verstehst du nicht? Wenn ich behauptet hätte, dass der Kaffee um so heller wird, je mehr Milch man reinkippt, würdest du dann auch Zweifel anmelden?

    Ich bleibe bei deinem Beispiel. Wie sieht es denn aus,wenn du nicht genügend Milch hast.

  • Ja klar - den Klimawandel haben wir nicht unserem fossilen Energieverbrauchs-Kreislauf zu verdanken sondern den Elektroautos.... Puhh ....

    Nimm dies;-):

    https://de.wikipedia.org/wiki/Whataboutism


    Ich habe ja schon, um mich nicht des Vorwurfs des Framings auszusetzen, geschrieben, dass das in beide Richtungen geht, weil: (Zitat aus dem Wikibeitrag):


    "Whataboutism und der Vorwurf, diesen zu betreiben, sind beides Formen des strategischen Framings und haben einen Framing-Effekt.[9]"


    Das wollen wir - ich jedenfalls - nicht. Meiner ganz bescheidenen Wertung nach kann ich nicht Schwächen eines Systems mit Schwächen anderer Systeme begründen oder relativieren.

  • Ich bleibe bei deinem Beispiel. Wie sieht es denn aus,wenn du nicht genügend Milch hast.

    Dann wird er umso heller, je weiter der Ausbau der Milchproduktion voranschreitet.

  • Dann wird er umso heller, je weiter der Ausbau der Milchproduktion voranschreitet.

    Wir beide bekommen Spaß.;-):lol:

    Die Milchproduktion wird stetig angehoben. Trotzdem wird der Kaffee nicht heller. Was jetzt?

  • Der E-Gebrauchtfahrzeugmarkt ist zusammengebrochen. Der wird sich auch nicht so schnell erholen. Am besten ihr schaut euch die Sendung in der Mediathek ( ARD,17.01.,21:45 Uhr) an. Ist wirklich interessant.

    Den Beitrag hatte ich auch gesehen und ich fühle mich in meiner Haltung bestätigt. Wer einen grün fluoreszierenden Heiligenschein braucht, soll sich dem Thema widmen, aber in den nächsten Jahren wird es in der praktischen Umsetzung nicht das meine sein und Aussagen dahingehend, wie günstig und grün man nun mit Strom unterwegs sei, entlocken mir bestenfalls ein müdes Lächeln. Irgendwie kann ich mich auch nicht des Gefühls erwehren, dass jene die auf den Zug E-Mobilität aufgesprungen sind, etwas Mitleid bedürfen, obwohl das Empfinden von Mitleid in meinem Job grundsätzlich als unprofessionell gesehen wird.


    In das Bild passt dann auch die Meldung, dass die Förderung des Bundes in Höhe von 155 Millionen Euro für das Batterieforschungszentrum Münster ersatzlos gestrichen wurde. Dass man die Batterieforschung nicht mehr fördern muss, glaube ich nun nicht, wenn man die gesteckten Ziele erreichen möchte und irgendwie passt die Meldung dann auch in den Bericht von Plusminus. Die E-Mobilität reduziert sich auf eine reine Glaubensfrage und die Glaubensfreiheit garantiert der Artikel 4 unseres Grundgesetzes.


    Gruß

    Siggi